TV-Clash der Kulturen
Unter den Folgen von Frauentausch gehört diejenige von Andy und Manuela aus Erfurt (von Andy selbst als Erfurt-Tennessee bezeichnet) zu den absoluten Highlights. Diese Episode hebt sich in ihrer Absurdität, die vor allem der grotesken Figur Andy Liebisch entspringt, vom Rest der Folgen ab wie Space Shuttles von Ochsenkarren. Andy Liebisch nämlich ist ein, zugegebenermaßen von der Natur nicht gerade üppig mit optisch-physischen Vorzügen beschenkter, Endvierziger mit drei/vier Kindern und einer trägen Ehefrau. Der Arbeitslose Elvis-und -USA-Fanatiker lebt in seiner speckigen Wohnung zwischen allerelei Kitsch, Nippes und American-Way-of-Life-Devotionalien wie ein verkümmerter Höhlenmensch. Er verbringt den ganzen Tag mit Rauchen, Kaffeetrinken und Rummaulen. Zur Unterhaltung schaut er Micky Mouse DVDs. Die Lebenswirklichkeit und naiv-pessimistische Negativität, in der Andy es sich bequem gemacht hat, war den Machern von Frauentausch sogar ein Spin-Off wert, in der sie Andy einen Trip in die USA spendieren.
Grund dafür waren Andys Beteuerungen, dass an seiner Misere und jahrzehntelanger Arbeitslosigkeit und sein Vor-sich-hin-vegitieren am Rand der Gesellschaft ausschließlich die widrigen Umstände in der intoleranten und auf Äußerlichkeiten fixierten Umgebung im wiedervereinigten Deutschland schuld seien. Spätestens in dieser zweiten Folge von Frauentausch mit Andy und Manuela in Las Vegas wird offenbar, wie weltfremd, unverschämt, negativ, faul, wehleidig und kauzig Andy ist. Man serviert ihm Jobs und Chancen sich zu beweisen auf dem Silbertablett, wie es nur in einer Scripted Reality wie Frauentausch möglich ist. Was macht Andy? Er scheißt mit Anlauf auf die Chancen, die ihm gegeben werden und – was der eigentliche Grund für das permanente Schamgefühl des Zuschauers ist – auf die Menschen, die sie ihm ermöglichen. Andy performt dabei so authentisch, dass die manipulierte Rahmenhandlung gar nicht mehr weiter stört und letztlich den Blick auf den wahren Charakter des regelmäßig wegen Nichtigkeiten vor Wut schnaubenden Gnom aus Erfurt nicht im Geringsten verzerrt. So weit, so grotesk.
Letzte Woche lief eine Folge des Pro7-Formats Galileo, bei der der reisende Moderator eine Familie aus dem Dschungel Borneos nach Deutschland einlädt. Diese Angehörigen der Volksgruppe Iban leben im Regenwald von der Jagd, dem Fischen und typischer Subsiztenzwirtschaft. In Deutschland angekommen werden sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit Dingen wie Flugzeugen, Rolltreppen, Vertikalbauten, Schnee oder einer Autobahn konfrontiert. Einer der Iban, der ironischerweise ebenfalls Andy heißt, hat sich als Fremdenführer und Autodidakt Deutsch beigebracht und kommuniziert souverän mit seinen europäischen Gastgebern (die Äußerungen von Andy aus Erfurt werden die ganze Zeit über untertitelt, weil man sein Kauderwelsch kaum versteht). Doch nicht nur das. In wintertauglicher Outdoorkleidung würde man nicht einmal im Entferntesten auf den Gedanken kommen, dass diese Menschen direkt aus einem Dschungeldorf in den Tiefen des subtropischen Asien kommen, wo es weder Strom noch Beton, ja noch nicht einmal Schotterpisten gibt. Denn sie wirken vitaler, offener, heiterer und souveräner und insgesamt zivilisierter als Andy aus dem Osten Deutschlands mit seinem grau-modrigen Teint. Die Iban kommen klar. Grundsätzlich. Und dabei stammen sie aus einer Gegend von dem die meisten Europäer noch nie gehört haben. Andy Liebisch stammt aus einer der führenden Wirtschaftsnationen der westlichen Welt.
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